Herr Dierkes und ich sind im September 1993 nach Tansania geflogen, um unsere Partnerschule zu besuchen, uns von den Fortschritten in der Entwicklung der Schule zu überzeugen und mit den Verantwortlichen über die weitere Gestaltung unserer Hilfe zu beraten.
Während ich in den letzten Jahren an dieser Stelle vor allem über die materielle Seite unserer Schulpartnerschaft mit der lambi Secondary School berichtet habe, möchte ich in diesem Jahr etwas über meine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse erzählen, die ich in Tansania gewonnen habe. Dabei beschränke ich mich aus Platzgründen auf die Schilderung der Hinreise nach lambi. Über die aktuellen Verhältnisse vor Ort wird Herr Dierkes berichten, der auch in diesem Herbst in lambi ist.

Samstagmittag: Flughafen Hannover-Langenhagen. Das Wetter ist herbstlich: diesig, grau in grau, kalt. lch verspüre Unbehagen und etwas Aufregung. Eine derart weite Reise habe ich noch nicht unternommen. Der Flug nach Amsterdam ist kurz und problemlos. Man hat gerade Zeit, den servierten lmbiß zu verspeisen. ln Amsterdam ist das Wetter freundlich. Wir fahren in die lnnenstadt und bummeln ein wenig. Die Zeit vergeht sehr langsam. Die innere Unruhe, das Reisefieber, hat sich noch nicht gelegt.

Samstagnacht: Der Flug dauert. Nach dem Abendessen versuche ich, ein wenig einzudösen. Nach zwei Stunden wache ich auf. Wir befinden uns schon längst über Afrika.
lch schaue aus dem Fenster und bin verunsichert. Was ist mit dem Mond los?
Er hat sich hingelegt, schaukelt gewissermaßen auf seinem runden Rücken. So habe ich ihn noch nie gesehen.

Sonntagmorgen: Gegen 8.00 Uhr landen wir in Dar es Salaam. Strahlendes Wetter hatte ich
erwartet. Wie in Afrika eben, Sonne satt, brüllende Hitze. Statt dessen herbstliches Wetter,
diesig, grau in grau, allerdings nicht sehr kalt.

Wir werden von Stieghorsts mit ihrem Toyota-Geländewagen abgeholt und zu unserem ersten
Nachtquartier gebracht, einem Bildungs- und Konferenzhaus der katholischen Bischofskonferenz des Landes. Das Haus hat zwar einfachen, jedoch europäischen Standard, ein fließender Übergang für uns. Die Stadt selbst ist alles andere als europäisch. lch hatte mir Dar es Salaam als Weltstadt vorgestellt mit Hochhäusern und breiten Boulevards. Die Wirklichkeit ernüchtert…

Den Mittag und Nachmittag verbringen wir am Strand. Jetzt ist das Wetter so, wie ich es mir
vorgestellt hatte. Fischer bringen uns frisch gegrillten Fisch, den wir uns vorher an ihrem
Marktstand ausgesucht hatten. Es erscheint mir alles noch unwirklich. lch hätte früher nie gedacht, einmal im indischen Ozean zu schwimmen.

Montag: Der Tag beginnt handfest mit Dienstgeschäften. Erst besuchen wir ein Lager mit Schulbüchern, das eine kanadische Organisation unterhält, und beladen den Wagen mit Büchern für die Schulbibliothek in lambi, dann geht es um handfeste finanzielle Dinge. Die
Spedition, die unseren Container mit den Betten an die falsche Adresse geliefert hatte, soll für
die dadurch entstandenen Kosten aufkommen. Zähe Verhandlungen mit dem Geschäftsführer. Viel smalltalk, bevor man zur Sache kommt. Man könne sich an die Sache nicht so recht erinnern. Ja, da war wohl was. lst es in Deutschland eigentlich auch so heiß? Erster Vorgeschmack auf das, was uns an Verhandlungen erwartet. Nach fast zwei Stunden dann bekommen wir einen Scheck überreicht. Die Sache ist erledigt, meinen wir. Hoffentlich, der Scheck könnte nicht gedeckt sein, lambi ist weit!

Nachmittags machen wir uns auf die Reise nach Morogoro, wo wir unseren ersten Lehramtsstipendiaten in seinem College besuchen wollen. Die Stadt scheint keine Stadtgrenzen
zu haben. Fast unmerklich zerfasert sie. Hin und wieder kommen uns au{ der Straße Viehherden entgegen, die in die Stadt getrieben werden. Die Vegetation ist grün und üppig.

Abends kommen wir im College an. Ein Schlagbaum verwehrt uns die Fahrt auf das Gelände. Umständlich werden wir von einem jungen Mann in uniformähnlicher Kleidung nach unserem Woher und Wohin befragt. Man merkt, daß die Einrichtung eine militärische Geschichte
hat. Erst katholisches Kloster, dann Kaserne, jetzt TTC (Teachers Training College). Es dauert
eine ganze Zeit, bis man uns einläßt. Dann wird Herr Makalla, unser Stipendiat, gesucht. Der junge Mann macht einen guten Eindruck; freundlich, zurückhaltend und doch bestimmt tritt er uns entgegen, in der Hand einen Fotoapparat haltend. Ein Statussymbol, wie wir merken, denn fotografieren will er nicht. Wertsachen bei sich zu halten, ist allerdings auch notwendig,
wenn man sie behalten will. Wir übernachten im College. Kein europäischer Standard mehr.

Dienstag: Der Tag vergeht mit der Weiterreise nach lringa, wo wir unseren zweiten Stipendiaten, Herrn Mugga, in seinem College besuchen wollen. Wir befinden uns noch immer in Gegenden mit guter lnfrastruktur: geteerte Straße, Eisenbahn, elektrischer Strom. Die Fahrt führt uns durch wunderschöne Berglandschalten mit ungewohnter Vegetation. Besonders die riesigen Affenbrotbäume sind fremd und beeindruckend. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit, gegen 18.30 Uhr, kommen wir in lringa an. Unsere beiden Begleiter, Herr und Frau Stieghorst, sind vom Fahren sehr erschöpft. Die Stadt ist dunkel, Stromausfall. Nach einigem Fragen finden wir ein Hotel, essen etwas zu Abend und gehen schnell zu Bett.

Mittwoch: Morgens besuchen wir Herrn Mugga, der sich offensichtlich riesig freut. Ein sehr
fröhlicher junger Mann, dem die Ausbildung Freude macht. Das TTC in lringa ist ein neuer Komplex, der von Schweden gebaut und bezahlt wurde. Er macht einen viel freundlicheren Eindruck als das alte Gemäuer in Morogoro, das nur durch seine herrliche landschaftliche
Lage entzückt. Hier, wie schon in Morogoro, werden wir nacheinander von allen Amtsträgern
zu einem Gespräch empfangen, angefangen vom Buchhalter und endend beim Leiter des
College. Jedesmal Austausch unverbindliche  Freundlichkeiten. Ein wenig anstrengend finde
ich diese bloß formellen und inhaltslosen Gespräche schon. Der Mentalitätsunterschied macht sich bemerkbar.

Mittags fahren wir weiter zum Ruahanationalpark.

Donnerstag, Freitag: Fotosafari im Ruahanationalpark. Afrikatourismus pur. Beeindruckende Landschaft, beeindruckende Tiere, beeindruckender Service in der Lodge: fünf dienstbare Geister für vier Gäste! Etwas zwiespältige Gefühle, habe ich doch auf der Fahrt die afrikanische Armut gesehen.

Samstag: Weiterfahrt in Richtung Singida, der Distriktshauptstadt lambis. Wir befinden uns längst fernab jeder Teerstraße. Durchschnittsgeschwindigkeit etwa 25 km/h. The never ending road to lringa Abends kommen wir in Dodoma an, der nominellen Hauptstadt Tansanias.

Sonntag: Am Morgen besuchen wir den Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Der Liturg erkennt uns unschwer als ausländische Gäste. Wir müssen uns im Gottesdienst vorstellen und
ein wenig über uns und unsere Reise erzählen. Das ist in Tansania so üblich. Anonymität wird
nicht geschätzt. Man nimmt Anteil aneinander. Die Kirche ist voll bis auf den le2ten Platz. Bei
aller Armut, die man auch hier bei genauerem Hinsehen bemerkt, ist doch jeder bemüht, sich
für den Kirchgang feinzumachen. Die gesungenen Lieder sind uns sehr vertraut. Zwar ist der Text für uns nicht versländlich, dennoch können wir mitsingen. Die Melodien entstammen alle deutschen Kirchengesangbüchern. Man merkt, Tansania war deutsche Kolonie
und wurde von Deutschen missioniert. Abends kommen wir in Singida bei Loys Swanson,
der kleinen, agilen Sekretärin des Bischofs der lutherischen Zentraldiözese, Dr. Gimbi, an.

Montag: Morgens haben wir ein langes Gespräch mit Dr. Gimbi. Es geht um die Frage der Schulträgerschaft der lambi Secondary School. Die Kirche will die Trägerschaft wieder
übernehmen. Wir bestärken Dr. Gimbi darin, versprechen wir uns doch davon ein strafferes
Management und kompetentere Ansprechpartner für unsere Schulpartnerschaft.

Singida ist eine typische Regionalstadt in Tansania. Neben einem quirrligen Markt, auf dem alles erhältlich ist, von Mais und Bohnen bis zum Fahrrad, wenn man Geld hat, gibt es einige Einzelhandelsgeschäfte, Bank und Post. Viel Betrieb auf der Straße. Einer von uns muß immer am Auto bleiben. ln einem Land wie Tansania muß man zwar Diebstahl anders bewerten als bei uns, dennoch möchte man seine Sachen gern behalten. Unter der geschäftigen und pitoresken Oberfläche sieht man bei genauem Hinsehen das schreiende Elend. Zerlumpte, verwahrloste Kinder, eine Frau, offensichtlich von Kindelähmung getroffen, kriecht, sich mit den Armen vorwärtsziehend, über die Straße, um sich in den Geschäften ein bißchen Nahrung zu erbetteln.

Am Abend kommen wir endlich in lambi an.

Die nächsten zehn Tage verbringen wir mit schwierigen Gesprächen und Verhandlungen.
Festzuhalten ist, daß wir sehr gastfreundlich aufgenommen wurden. Sind die Menschen
nach unseren Maßstäben auch sehr arm, so ist doch ihre Freundlichkeit, mit denen sie Fremden begegnen, nicht nur Europäern, von denen sie sich vielleicht etwas versprechen, riesengroß. Von dem wenigen, daß sie besitzen, haben sie uns reichlich beschenkt.

lch habe den Eindruck, daß man auf dieser Ebene des menschlich Wesentlichen von Afrikanern viel lernen kann. Dies würde ich auch unseren Schülern wünschen. lch hoffe, daß wir den Besuchskontakt in Zukunft auch auf Schüler unserer Schule, des Scharnhorstgymnasiums, ausdehnen können. Es wäre für sie ein Gewinn, so wie für mich diese Reise ein Gewinn war, der mich weiter begleitet.
                                                                                                                             Reinhard Schlosser